Thursday, June 19, 2008

Not 42

Es ist ja schön, dass ihm Coldplay auf ihrem neuen Album quasi einen Song widmen, aber Douglas Adams lag falsch. Die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest ist nicht "42", sondern "Coldplay". Zumindest war das gestern so und ich glaube nicht nur für mich.


Da ich vorher noch ein bisschen was für meine Dissertation in London zu erledigen hatte, bin ich erst gegen 15 Uhr vor dem BBC Television Centre im Westen der Stadt angekommen. Ich musste gar nicht danach suchen, denn die schon beträchtliche Schlange verriet, dass es wohl hier sein musste. Ich hatte mich mit ein par Leuten aus dem Coldplaying-Forum verabredet und nach einem Anruf von Pete bin ich zu ihnen gestoßen (und habe ganz böses "queue jumping" betrieben). Kurz darauf kam auch schon ein BBC-Mitarbeiter (der gleiche übrigens, der auch schon QI betreut hat, als ich da war) und hat Sticker verteilt, die garantieren, dass man auch auf alle Fälle rein kommt, solange sie denn weiß sind. Ich hatte Nummer 96 und somit nur 95 Leute vor mir.
Zusammen mit den anderen war das Warten ganz und gar nicht langweilig und wir haben uns alle gut unterhalten, obwohl es das erste Mal war, dass wir uns gesehen haben. Gegen vier kamen ein paar Musikfetzen aus den Lautsprechern und die Band begann ihren Soundcheck. Da die Bühne seitlich zur Straße aufgebaut war, konnten wir durch die Tore des Geländes Chris, Guy, Jonny und Will dabei beobachten, wie sie diverse Songs probten. Teilweise spielten sie sogar ganze Songs und so kamen wir schon mal in den Genuss eines kleinen "Vorkonzerts". Besonders gefreut haben wir uns mal wieder die Töne von "Politik" zu hören, das am Montag in der Brixton Academy nicht auf der Setlist stand, aber immer ein großer Live-Favorit ist unter den Fans. Chris war ein bisschen nervös während des Soundchecks und gab zu, dass es komisch ist, wenn so viele Leute zusehen.

Kurz nach fünf begann der Einlass und wir bewegten uns langsam in Richtung Bühne. All unsere Sachen wurden geröntgt, was bei der BBC so Standard ist. Wir erkämpften einen sehr guten Platz in der dritten Reihe vor Jonny auf der linken Seite der Bühne. Ich war froh, dass wir als Gruppe da waren, denn so konnte ich ohne Sorge nochmal die Toilette aufsuchen (was auch dringend nötig war) und dann wieder an meinen Platz zurückkehren. Nochmal hieß es fast zwei Stunden warten und wir kämpften alle mit müden und schmerzenden Beinen, aber ist ja nicht das erste Mal, dass wir das für Coldplay auf uns genommen haben.

Um viertel vor sieben kam ein Mitarbeiter der BBC auf die Bühne und hat uns kurz eingewiesen und aufgeklärt, wie die Aufzeichnung vonstatten gehen wird. Es gab einige Kameras überall um uns herum, einen Kamerakran, der immer gefährlich nah über unseren Köpfen vorbeischwang, eine Kamera auf dem Dach eines Gebäudes auf der anderen Straßenseite und sogar einen Helikopter, der über uns kreiste und ein paar schöne Bilder einfing. Um uns schon mal in Stimmung zu bringen (was eigentlich nicht mehr wirklich nötig war), wurden ein paar Einheizer vom Band gespielt und wir übten alle schon mal Mitsingen, Tanzen, Klatschen und Springen.

Das Publikum war (zumindest da wo ich stand) sehr leidenschaftlich und euphorisch und ich habe mich gefreut, dass anscheinend auch wirklich die Fans Karten gewonnen hatten, die es wirklich verdient haben. Es war unglaublich wie wenig Zuschauer es nur waren und wie intim das Konzert dadurch war. Sogar 2002 in Hamburg (vor dem großen Durchbruch mit "A Rush Of Blood To The Head") habe ich sie vor mehr Leuten gesehen und auch der Secret Gig in Köln 2005 im gemütlichen Gloria hatte mehr Zuschauer. Die BBC-Mitarbeiter hatten es natürlich gut, denn auch ganz ohne Ticket hatten die sich zahlreich auf den Balkonen und an den Fenstern versammelt. Wir haben schon bezweifelt, dass gerade überhaupt was gesendet wird, weil niemand mehr zu arbeiten schien. Ricky Gervais, Jonathan Ross und ein eigenartig bebrillter, aber begeisterter Jay-Z wurden auch im Publikum gesichtet.
Die Spannung stieg und kurz vor sieben, wurde von drei nach unten gezählt und die Musik von "Life In Technicolor" setzte ein. Unter großem Jubel und Applaus betrat die Band die Bühne und alle stiegen nach und nach in den Song ein. Etwa in der Mitte des Songs setzte auch die Liveübertragung ein. "Life In Technicolor" ist trotz der Kürze und des Fehlens jeglicher Lyrics einer meiner Lieblingssongs auf dem Album und ein absolut würdiger Auftakt für den Beginn der Konzerte, so wie es vorher immer "Politik" und "Square One" waren.
Die Band war in bester Laune und hat sich seit den ersten Auftritten mit den neuen Songs sehr gesteigert. Die Stimme von Chris ist immer noch ein bisschen wackelig bei den neuen Liedern, aber ich denke, er bekommt das in den nächsten Wochen hin. Tänzerisch gibt es nichts mehr zu verbessern und es war eine Freude ihm zuzusehen. Jonny sieht grundsätzlich immer absolut konzentriert aus an der Gitarre, während Guy an Coolness wohl kaum noch zu überbieten ist. Will, der für mich der heimliche Star des neuen Albums ist, war auch auf der Bühne herausragend. Seinen großen Autritt hat er ganz klar bei "Viva La Vida" an der Kircheglocke, die live tatsächlich beeindruckend klingt.
Sowohl die neuen Songs, als auch die alten "Hits" kamen super beim Publikum an, das die ganze Zeit lautstark mitsang. Ich bin ja nicht gerade ein großer Fan von Singles wie "Clocks", "In My Place" und "Fix You" auf den Alben, aber live sind sie immer noch funkelnde Momente. Die kleinen Highlights waren für mich vor allem "42", nach dem sich Chris gewundert hat, dass sie es mal nicht verhauen haben, "Trouble" mit einer wunderschönen Hommage an den Hubschrauber über unseren Köpfen ("Oh no I see, a helicopter is filming my friends and me / And I turn and say, don't film the bald spot on top of my head"), "Lost!", das live sehr viel besser klingt als in der Studioversion und eine wunderschöne, neue Akustikversion von "Yellow", die sie auf einer kleinen Extrabühne spielen. Ich freue mich sehr, dass sie den Mut hatten aus dem Song ein bisschen was anderes zu machen und es ist ihnen sehr gelungen. Klingt fast bezaubernder als das Original.
Während "Yellow" war es auch, als Chris einen kurzen Gruß an die Bauarbeiter auf der anderen Straßenseite schickte, die sich auf ihren Wohncontainern versammelt hatten und ebenfalls lauschten. Alle winkten ihnen mal kurz zu und sie winkten zurück. Da soll einer nochmal mit "Mädchenband" kommen. "Bauarbeiterband" trifft es wohl eher und mal ganz abgesehen davon ist das Verhältnis Männchen/Weibchen bei Konzerten immer sehr ausgeglichen. Auch vor den Toren des Geländes hatten sich jede Menge leute versammelt und selbst ohne Ticket hatte man eine ziemlich gute Sicht auf das Geschehen. Chris beruhigte die Zuschauer dort am Anfang: "Thanks for staying outside the gates. We look best from a long distance anyway, so I wouldn't worry." Die Menschentraube draußen wurde mit der Zeit immer größer als Passanten merkten, dass das tatsächlich Coldplay waren, die da spielten und die Musik nicht vom Band kam.
Die kleineren Highlights habe ich ja schon aufgezählt, aber das beste haben sie sich für den Schluss aufgehoben. "Lovers In Japan" ist einer meiner Lieblingssongs auf dem Album und sobald die ersten Töne davon erklangen gab es kein Halten mehr. Die tolle Liveversion wurde unvergesslich, als aus vier Kanonen Unmengen an Schmetterlings-Konfetti in die Luft geschleudert wurden und im Wind tanzten. Der ganze Platz wurde in einen Regen aus Schmetterlingen in den Farben der französischen Revolution getaucht und es sah beeindruckend aus. Das Ganze ist auch für die Arena-Tour geplant, aber ich denke, dass es im Freien noch besser funktioniert und schöner anzusehen ist. Überglücklich starrten alle zum Himmel hinauf und sahen den Schmetterlingen zu.
Mit diesem Höhepunkt verabschiedeten sich die Jungs von der Bühne. Klar, es waren nur 45 Minuten, aber selten habe ich 45 Minuten meines Lebens besser und mit mehr Spaß verbracht. Anreise und das ganze Ticketchaos letzte Woche inklusive massiver Enttäuschung haben sich mehr als gelohnt. Es fühlte sich trotzdem wie ein ganzes Konzert an und das lag auch vor allem an der tollen Stimmung im Publikum, das den Parkplatz für eine dreiviertel Stunde in ein Stadion verwandelt hat. Ich kann es kaum erwarten sie im September wieder spielen zu sehen. Bis dahin habe ich erstmal die schönen Erinnerungen im Kopf und einen Livemitschnitt für die Ewigkeit auf der Festplatte. Ein paar Mal kann man mich im Fernsehen sehen. Gott sei Dank ist es nicht ganz so peinlich wie befürchtet.

Nach dem Konzert waren wir noch etwas trinken in einem nahegelegenen Pub und haben unsere Begeisterung geteilt. Ein paar der Leute waren auch am Montag in der Brixton Academy und obwohl sie da länger gespielt haben, waren sie alle noch mehr mitgerissen von dem kurzen, aber sehr intimen Gig mit toller Stimmung. Ich habe mich sehr gefreut so viele Leute kennenzulernen, die meinen Enthusiasmus hinsichtlich der Band und deren Musik teilen. Es hat den Tag einfach nur perfekt gemacht. Mit einer handvoll Schmetterlings-Konfetti ging's wieder nach Hause.

No comments: